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Spitzengeschichten
  • Sonntag, 29 Juli 2012, 00:51 Uhr | Lesezeit ca. 4 Min.

Generationswechsel zur Jahrhundertwende

Spitzengeschichte 35

Mammen_Franz-AugustWie es bei Königen und Kaisern ungeschriebenes Gesetz ist, dass Enkel (Friedrich II. Der Staufer – Enkel von Barbarossa, Friedrich II. Der Große – Enkel vom Großen Kurfürsten, Batu Chan – Enkel von Dschingis Chan) das Werk der Großväter glorreich zum Gipfel bringen, gilt bei Industriellen offenbar die Regel, dass Söhne das Erbe der Väter vergeigen.

Die Großen des industriellen Aufstiegs, denen Plauen seinen Ruhm verdankte, hatten sich um die Jahrhundertwende verabschiedet. Franz August Mammen wurde 1888 “wie ein kleiner Fürst” zu Grabe getragen. Hochgeehrt, verstarb 1896 der Begründer voigtländischer Maschinenstickerei, Fedor Schnorr. Sein Freund, der erste Stickmaschinenbauer Sachsens, Albert Voigt, nach dem noch heute in Chemnitz-Kappel ein Stadtviertel benannt ist, war ein Jahr davor gestorben. Die Erfinder der Spitze Theodor Bickel (gest. 1903), und Anton Friedrich Falke (gest. 1906) durften die hohe Zeit der von ihnen ausgelösten, ungeheuren Entwicklung noch erleben. Sie hatten Plauen zur Spitzenstadt und das Vogtland zum Textil- und Maschinenzentrum gemacht. Schon 1895 hieß es im Brockhaus’ Konversations-Lexikon: “P. ist der Hauptort in Deutschland für Weberei weißer Baumwollwaren (Plauensche Waren), für Gardinen, Weißstickerei und Konfektionswaren, Fabrikation von Musselin, Mull, Jaconet, Battist; ferner bestehen eine bedeutende Baumwoll-, Streichgarn-, Vigognespinnerei, 16 Färbereien, 13 Bleich- und Appreturanstalten, Maschinenstickerei (über 2000 Stickmaschinen), 5 Zwirnereien, 5 Lederfabriken, 1 Treibriemenfabrik, mechan. Seilerei, 2 Papier- und Geschäftsbücherfabriken, 2 Stickmaschinen-, 6 andere Maschinenfabriken, 3 Cementsteinwaren- und Kunststeinfabriken, 3 Geldschrankfabriken, 1 Pianofortefabrik, 5 Brauereien; Jahr- und Viehmärkte.”

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Hatten die meisten der alten Firmen den Aufschwung in die große Konjunktur Vomag_Werk1noch mitgemacht, beteiligten sich in der Juniorgeneration nach der Jahrhundertwende nur noch einige an der Fortentwicklung ihrer Branche. Sie lieferten sich in Übermut gnadenlos einer Konjunktur aus, die, sie hätten es wissen können, vom launischen Modemarkt von Paris, London und New York abhängig war. Ihr Ende war also absehbar, wurde aber von den Erben der Großen nicht wahr genommen. Als sich 1903 auch der jüngere der beiden Dietriche, Hermann Dietrich, auf sein Rittergut nach Untermarxgrün zurückzog, begann auch für die “Vogtländische Maschinenfabrik (vorm. J.C. & H. DIETRICH) AG” (VOMAG) eine neue Zeitrechnung. Prägnant, wie für Plauens gesamte Wirtschaftsgeschichte, war sie erneut eng an das Schicksal eines einzelnen Mannes geknüpft, in dessen Hände die VOMAG nach Dietrichs vorzeitigem Rückzug kam. Robert Zahn, ein Unternehmer der neuen Generation.

Der Standort in der Trockentalstraße erwies sich für seine Vorhaben und Pläne schon bald als zu klein, wie die Stadt für Plauens Textilwirtschaft, die sich weit ins Vogtland hinaus entwickelt hatte, zu klein geworden war. Die Stadt in den zwei Tälern und auf den sieben Hügeln hatte nur begrenzt Flächen für die Ansiedlung großer Fabriken, am wenigsten in Wassernähe. Das alte Plauener Gewerbe der Appreturanstalten (zur Textilveredlung) wie “Gebr. Höppner”, “F.A.Hempel” und andere, hatten bereits im Sog der Spitzenindustrie riesige und prächtige Fabrikgebäude an den Ufern des Elsterflusses gebaut. Die Höppners, deren Vater Johann einst (1810) als “Farb-, Kunst- und Schönfärber” das Erbe der “Alten Schwarzfarb” -die hatte ein gewisser Balthasar Amberger aus Kempten 1566 an der Syramündung gegründet- übernommen hatte, kauften mit dem größten Spannrahmen Europas (für 12 mal 70 Meter nahtlose Stoffbahnen) der englischen Konkurrenz bald den Schneid ab. Doch all dies reichte nicht. Die Nachfrage des Weltmarktes forderte weitere Produktionskapazität; -bis zum Exzess.

Plauens Einwohnerzahl überschritt 1907 die magische 100.000-er Grenze. Scheinbar unaufhaltsam schien die Stadt über die Grenzen einer deutschen Großstadt hinaus zu wachsen. Stadtteile wie Haselbrunn, Preißelpöhl, die Hammervorstadt, die obere Ostvorstadt, die Südvorstadt, am Sternplatz und Neundorf schossen aus dem Boden. Plauens landschaftliche Schönheit, die in einmaliger Besonderheit eines innerstädtischen Höhenunterschiedes von einhundert Metern wurzelt, gestaltete die ungehemmte Entwicklung großer Fabrikanlagen zu einem schier unlösbaren Problem. Auch das wurde von Plauener Unternehmern und einer der Wirtschaft dienenden Stadtverwaltung auf geniale Weise gelöst. Wie? -ist bereits eine andere Geschichte. 

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Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit. (ce)

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