- Sonntag, 29 Juli 2012, 01:35 Uhr | Lesezeit ca. 5 Min.
Der Bismarckturm “Kemmler” Plauen
Spitzengeschichte 15
Nach dem Hinscheiden von Otto Bismarck stürzte ganz Deutschland in einen posthumen Ehrerbietungstaumel. Besonders Bismarcksäulen standen bei patriotischen Vereinen wie auch Kommunen hoch im Kurs. Allein im Vogtland stehen drei dieser wuchtigen Ehrenmale – die heute bekannte Ausflugsziele sind.
Beim Kaiser war der olle Bismarck in Ungnade gefallen, Wilhelm II. hatte ihm 1890 den Stuhl vor die Tür gesetzt. Dem deutschen Groß- wie Kleinbürger dagegen blieb sein „Eiserner Kanzler“ weiterhin lieb – und teuer. Noch zu dessen Lebzeiten, 1895, ernannten allein 72 sächsische Kommunen den tatkräftigen Staatsgründer zum Ehrenbürger. Als Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen drei Jahre darauf, inzwischen 83-jährig, die Augen für immer schloss, brach im Reich die Bismarckomanie aus. Bismarckstraßen, Bismarckschulen, Bismarckhaine … – kaum eine deutsche Stadt, die sich nicht von der Verehrungswut für den neuen teutonischen Volkshelden anstecken ließ. Wer es sich leisten konnte, stellte dem Altreichskanzler gleich ein eigenes Denkmal hin.
Allein im heutigen sächsischen Vogtland zogen die Maurer zwischen 1900 und 1902 drei Bismarcksäulen, damals oft auch -warten genannt, hoch. Im einstigen böhmischen, bayerischen und thüringischen Vogtland ließ man seinen patriotischen Gefühlen ebenso freien Lauf. Auf dem Hainberg bei Asch entstand 1902/03 der erste österreichische Bismarckturm, ein 34-Meter hoher Granitkoloss. Den Beschluss zum Bau drückte der Ascher Stadtrat gegen den Willen der österreichischen Regierung durch. Hof stellte seine Bismarcksäule auf dem Rosenbühl 1915 zum 100. Geburtstag des Fürsten fertig, und auch in Schleiz planten die Stadtväter ein entsprechendes Ehrenmal, das allerdings nie über die Idee hinauskam.
Die erste Säule des sächsischen Vogtlandes, zugleich der Premierenbau im ganzen Königreich, wurde in Markneukirchen in Angriff genommen. Bauherr war der örtliche Königliche Militärverein I, dessen Vorsitzender, der Musiksaitenfabrikant Max Paulus, das Projekt mit besonderem Elan unterstützte. Für 900 Reichsmark kaufte der Verein das notwendige Bauareal auf dem Oberen Berg. Am 1. April 1900, dem Geburtstag des Altreichskanzlers, marschierten die Königlichen und andere vaterländische Kameradschaften zur Grundsteinlegung auf der Bergkuppe auf, ein ähnliches Brimborium wiederholte sich am 1. Juli 1902 zur Weihe des trutzigen Bauwerks. Knapp 13.200 Mark investierten die obervogtländischen Bismarck-Verehrer in ihre 14 Meter hohe Kultstätte.
Zwischen 1982 und 1989 erhielt der in die Jahre gekommene Turm eine Verjüngungskur. Im Herbst 1989, direkt nach der politischen Wende, gründeten Markneukirchener Bürger den „Bismarck-Turm-Verein e.V.“ Eine weitere Sanierung folgte 1997. Die Plauener brauchten zwei Jahre länger als ihre Markneukirchener Sinnesgenossen für den ersten Handgriff am staatstragenden Ehrenmal. Sie brachten den Grundstein am 1. April 1902 in die Erde, bauten dafür aber wesentlich zügiger. Bereits am 31. August desselben Jahres beklatschte zahlreiches Publikum die Einweihung. Ein Zug von 8.000 Menschen mit 100 Fahnen wälzte sich an diesem Sonntag hinauf zum Kemmler.
Erst 1883 war auf dem Berg ein Aussichtsturm eröffnet worden. Doch gegen die pompöse Altkanzlersäule hatte dieser schmucklose Bau keine Chance. Die Stadt stimmte dem Abriss zu und stellte obendrein den Platz für den Neubau kostenlos zur Verfügung. Die Bausumme, etwas über 31.000 Mark, sammelte ein „Verein zur Errichtung einer vogtländischen Bismarcksäule auf dem Kemmler“ von Spendern aus dem ganzen Vogtland ein. Mit dem Geld wurden 1.500 Tonnen Granit und Fruchtschiefer in dem 18,25 Meter hohen Turm verbaut.
Unterhalb der Säule öffnete 1910 das Bismarckhaus, bald eine beliebte Einkehrstätte, die nach 1945 aber wieder von der Bildfläche verschwand. In den 60er Jahren wurde das Nötigste am Turm repariert, 1972/1973 die Feuerschale abgenommen und durch ein Schutzdach mit einem Antennenmast der Post ersetzt. Der zierte die Turmspitze bis 1995. Zu einer grundlegenden Sanierung konnte sich die Stadt nach der Wende aus Kostengründen nicht durchringen, vielen Plauenern wird die 100-Jahr-Feier am 31. August 2002 trotzdem noch in guter Erinnerung sein. Dass sich die Granitgiganten von Plauen und Markneukirchen mit ihren vier Säulen und der Turmhaube ziemlich ähneln, ist kein Zufall. Beide Entwürfe stammen vom Reißbrett desselben Architekten, des Dresdners W. Kreis. In Plauen bewarben sich übrigens 320 Baumeister um den Auftrag, der Stadtrat entschied sich schließlich für Kreis’ klobiges, wenn auch nicht unbedingt einzigartiges Modell.
Anders die Netzschkauer. Sie bauten ihre Bismarcksäule auf dem Kuhberg als imposanten Rundturm, den eine so genannte Turmlaterne, gebildet aus sechs Säulen, die einen steinernen Kranz tragen, abschließt. Der Kuhbergturm ist mit 21 Metern das höchste vogtländische Bismarckdenkmal, er war mit rund 40.000 Mark Baukosten, davon 24.300 Mark Spenden, zugleich das teuerste.
Nach der Grundsteinlegung am 30. Juli 1900 zogen die 40 eingesetzten Arbeiter den Bau zügig hoch. Schon vier Monate später, am 28. Oktober, folgte die Weihe. Abends loderte das erste Höhenfeuer in der Feuerpfanne, mit denen, wie erwähnt, auch der Plauener und der Markneukirchener Turm ausgestattet waren.
Der Neubau auf dem Kuhberg war in größerem Umkreis eine Attraktion: Allein im ersten Jahr kraxelten 16.000 Besucher auf die Aussichtsplattform. So mancher dürfte nach dem Wiederabstieg froh gewesen sein, dass gleich nebenan die Kuhbergbaude stand. Die Gaststätte wurde 1901 eingeweiht, 1945 gesprengt und 1953/54 mit den Spenden vieler Bürger neu aufgebaut. (PbK)
Öffnungszeiten Bismarcktürme:
Plauen – ganzjährig, 9 Uhr bis Einbruch Dunkelheit
Netzschkau – über „Kuhbergbaude“, Tel. 03765/34125
Markneukirchen – täglich, Einwurf ein Euro
Bilder:
Wuchtige Einheitsarchitektur: Der Plauener Bismarckturm in seinen jungen Jahren (Bild unten), das Markneukirchner Denkmal 2007 (Bild oben). Von heute weltweit bekannten 240 Bismarcktürmen standen 184 in Deutschland. 146 sind erhalten geblieben, drei davon im Vogtland (der dritte auf dem Kuhberg bei Netzschkau). Stadtarchiv Plauen/PbK
Die Spitzengeschichten werden Ihnen präsentiert vom Historikus Vogtland. >> zum Historikus Vogtland