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Spitzengeschichten
  • Sonntag, 29 Juli 2012, 01:06 Uhr | Lesezeit ca. 4 Min.

Bickels maschinengestickte Spitze

Spitzengeschichte 31

Theodor_BickelTüllspitzen, sogenannte “echte” Spitzen gibt es seit 1700. So die genähte Applikationsspitze aus Brüssel, die Häkelspitze aus Irland und die Klöppelspitze aus dem Erzgebirge. Produkte, die in ihrem hohen kommerziellen Wert neben dem Edelstein standen, mithin ausschließlich dem Luxus der führenden Aristokratie und der Kirche verfügbar waren. Für den Bürger, selbst den betuchten, blieb echte Spitze unerreichbar. Das sollte sich im Jahr 1881 durch die ungewöhnliche Erfindung eines ungewöhnlichen Mannes schlagartig ändern.

“Kommerzielle Genialität, überragende Kenntnis der Industriezentren der echten Spitzen, folgerichtiges Überschauen industrieller Entwicklungs-Zusammenhänge, volle Beherrschung des gesamten sticktechnischen Apparates, ungewöhnliche künstlerische Veranlagung und bewundernswerter Spürsinn für Vollausnützung aller zur Verfügung stehenden menschlichen und mechanischen Kräfte waren die Wesenszüge des ungemein begabten regsamen Menschen, der die Stickmaschine zum entscheidenden Werkzeug der Tüllspitzenerzeugung machte. Theodor Bickel”.

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So beschrieb Prof. Albert Hempel am 15. Februar 1933 im “Vogtländischer Anzeiger und Tageblatt” sein Unternehmerprofil. Bickel, dem Mitinhaber der Firma “F.A.Mammen & Co.”, sagte man nach, dass er “jeden Tag an jeder seiner 35 Maschinen beobachtend, bestimmend und führend tätig war”. Begonnen hat alles im Jahre 1879. Die Erfindung Bickels, echte Spitze auf alten Handstickmaschinen aus Kappel und der Schweiz herzustellen, war zunächst ein Gebot der Not. Die erste Hochzeit maschinengestickter Wäschestickerei, die 1857 mit zwei Schweizer Stickmaschinen bei “Schnorr & Steinhäuser” in der Hofwiesenstraße begann, erfuhr 1873 einen tiefen Sturz gegen die Schweizer Konkurrenz, der infolge schwerer Depression des nordamerikanischen Marktes 1877 in eine heftige Krise mündete. Die zweite industrielle Epoche Plauens war damit vorbei.

So galt Bickels Erfindung als “konsumaufpeitschende Neutat” für Plauen und die gesamte Region. Sie war, wie bei großen Erfindungen allzu oft, dem Zufall geschuldet, als der scharf beobachtende Bickel feststellte, wie eine seiner Maschinen, die wie üblich auf Tüll aufgelegten Mull bestickte, der am Ende der Bahn verrutscht war, das Muster auf blankem Tüll weiterstickte. Dies war für ihn Initialzündung einer gigantischen Idee. Im Jahre 1881 gelingt ihm nach unzähligen Versuchen und Verfeinerungen maschineller Technik und Zurichtung des Materials die Krönung seines Lebenswerkes. Die Herstellung der gestickten Tüllspitze, die unter den Markennamen “Dentelle de Plauen” den Namen Plauens um die Welt trug. Bereits Mitte des Jahres hatte “Plauen lace”, wie sie in England hieß, die Märkte von Paris, London und Neuyork erobert.

Am ersten Dezember des selben Jahres lieferte, ganz unspektakulär neben der Spitze, eine kleine Werkstatt in der Hofer Straße die erste Plauener Stickmaschine. In den folgenden Jahren gedeiht in Plauen die Stickerei- und Spitzenindustrie in unglaubliche Höhen. Der Aufschwung der Tüllspitze war so heftig und verführerisch, dass ein anderer Plauener Unternehmer, der 1882 die Luftspitze erfunden hatte, ihre Weiterentwicklung den Schweizern, die daran nahezu zeitgleich arbeiteten, überließ. Mit der Tüllspitze betrat die Plauener Textilindustrie ein vollkommen neues Terrain. Nahezu unbemerkt in florierender Konjunktur, wuchsen die Erben der Schleiermacher, Walkmüller, Schwarzfärber, Weber und Sticker, die voigtländischen Weißwarenhersteller über Nacht hinüber in die Meisterschaft der Spitzenkönige.

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Sie taten dies am Ende -besser als anderswo- auf ihren konkurrenzlosen Plauener Maschinen aus der weltweit erfolgreichsten Stickmaschinenfabrik “J.C. & H. Dietrich”, der späteren Vomag, wo man sich bereits 1883 der revolutionierenden Schiffchenstickmaschine zugewandt hatte. Die Folgen für Plauen waren gigantisch. Fächerförmig entwickelte die Spitzenindustrie ins Vogtland hinaus. Das neue Erzeugnis kannte die mannigfaltigsten Namen: Dentelle orientale, Dentelle de Plauen, Dentelle de Saxe, Saxon lace, Plauen lace. Ihre Krönung und Vollendung war die Erfindung der Luftspitze durch den Plauener Stickereibesitzer Anton Friedrich Falke. Doch dies ist bereits eine andere Geschichte.

Die Einwohnerzahl Plauens, die im Jahr der Erfindung von Theodor Bickel noch 35 000 Bürger betrug, war bis 1903, dem Todesjahr Bickels, auf 95 000 Einwohner gestiegen. Plauener Spitzen, das zarteste Gespinst für drunter und drüber, tanzten auf drei Jahrzehnte in den Ballsälen und den Lotterbetten dieser Welt ihren übermütigen Tanz.

Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit. (ce)

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