- Sonntag, 29 Juli 2012, 00:26 Uhr | Lesezeit ca. 4 Min.
Textilkrise und Krieg
Spitzengeschichte 41
Bereits in den Jahren vor den ersten Weltkrieg erwies sich die Abhängigkeit vom Weltmarkt mehrfach vernichtend für den Textilstandort, so auch 1911. Dann kam der Krieg. Hatten die Plauener noch begeistert zum Auszug ihres hier stationierten Regiments gejubelt, grassierte in der Stadt bald Arbeitslosigkeit, Armut und bittere Not. Sticker, einst gesuchte, hochangesehene und ebenso bezahlte Spezialisten, legten zwangsweise die Hände in den Schoß.
Noch war die Zeit in Erinnerung, da sie sich, ihre Fabrikherren nachahmend, in bierseligem Überschwang die Zigarre schon einmal mit einem Zehnmarkschein (ihre Herren nahmen Hunderter) anbrannten. Nun wurden sie, von Hilfsprogrammen der Stadt aufgefangen, oftmals als Schutzmänner oder Hilfspolizisten -noch fünfzig Jahre später hießen Plauens Volkspolizisten im Volksmund Sticker- verpflichtet. Die große Rezession hatte im Verein mit dem Zahnautomaten den Stand der Sticker ausgelöscht. Das Geländer auf der Friedrich-August-Brücke musste 1913 erhöht werden, um die “Plauener Selbstmord-Epidemie” zu beenden.
Einzig die Kriegswirtschaft hatte fortan eine ernstliche Chance, während Betriebe der alten Branchen reihenweise bankrott gingen. Im Glühlampenwerk entstand eine Kartuschenfabrik, an der Leuchtsmühle wandelte sich die alte Kunstseidenfabrik in eine Munitionsfabrik, die VOMAG begann Granaten zu drehen und beschleunigte den Bau von “Nutzkraftwagen für alle Verwendungsarten”. Ihre Belegschaft stieg auf 4.000 Köpfe. War der Prototyp des ersten Lastkraftwagen 1915 einsatzbereit, stand im Sommer des darauf folgenden Jahres die erste Staffel von acht VOMAG-Dreitonnern in der Cranachstraße zum Abmarsch an die Front. Fortan bestanden die Staffeln, die per Unterer Bahn ans Heer gingen, aus 90 Wagen. Zu spät für die deutsche Heeresleitung, welche die Bedeutung des Automobils für die Logistik des Krieges nicht erkannt hatte. Konnten die Franzosen doch in einem massenhaften Einsatz von Pariser Omnibussen, Lkw’s und hunderten Taxis zum Truppentransport den deutschen Angriff an der Marne kriegsentscheidend zum Stehen bringen. Neben Lastkraftwagen produzierte die VOMAG in großem Umfang Granaten, Granatminen und Fliegergeschosse. Die Herstellung von Rotationsdruckmaschinen und Stickmaschinen -man belieferte unter großem Protest der heimischen Textilbranche noch den Hauptkonkurrenten Schweiz- wurde fortgeführt, ja man erweiterte sogar 1921 seine Produktpalette in großem Stil um die Fertigung des “glatten Kurbelwebstuhls nach englischem Grundmodell”. Keine Chance also, all diese Projekte am Standort an der Elster zu realisieren.
Deshalb wurde er bereits 1919 um das Werk II an der Leuchtsmühle und das Werk III auf dem Gelände der ehemals ”Stickeri-Industrie-GmbH” erweitert. Der VOMAG-Standort hatte sich, eingezwängt zwischen Eisenbahnlinie und Elsterfluss, erneut als räumlich begrenzt erwiesen. Die Ironie logistischer Stadtgeschichte war, dass die kostbare, innerstädtische Elsteraue, bebaut mit den weltweit modernsten Fabriken der Textilherstellung und -veredlung, still stand; dort rauchte nicht ein Schlot, während in der VOMAG vor der Stadt Raumnot herrschte. Auch diese Not verwandelten Zahns Erben in guter Tradition in eine Tugend.
Holzräder, Vollgummireifen, Rechtslenkung und Kettenkraftübertragung auf die Hinterachse, das waren die Markenzeichen der ersten, dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Lastwagen. Die VOMAG-Ingenieure waren die ersten, die von Anbeginn der Entwicklung ihre Wagen mit Kardanwellen, aus einem Stück Nickelstahl geschmiedet, mit Kegelrad und Differential auszustatten vermochten. Sie waren nahezu prädestiniert für den Automobilbau, war man doch seit Generationen gewöhnt, in Kategorien höchster Präzision der Stickmaschine zu denken, zu konstruieren und zu produzieren. So galten besonders die VOMAG-Motoren als zuverlässig und reparaturfreundlich gegenüber der Konkurrenz. Die Produktion war schon 1919 auf 85 Lastwagen monatlich gestiegen, die Belegschaft auf 5.400 Mitarbeiter. Im gleichen Jahr schloss sich die VOMAG mit DUX-Leipzig (Pkw‘s), Magirus-Ulm (Lkw’s, Busse, Feuerwehren), und Presto-Chemnitz (Pkw‘s, Lieferwagen) zum Deutschen Automobilkonzern (D.A.K.) zusammen. Zum Aufsichtsrat der Vogtländischen Maschinen-Fabrik (vorm. J.C.&H.DIETRICH)A.-G. gehörte der Kölner Großaktionär Albert Ottenheimer, der zuletzt 60 Prozent der Aktien hielt.
Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit. (ce)