- Sonntag, 24 Februar 2019, 16:19 Uhr | Lesezeit ca. 6 Min.
Klingenthal: Die Stadt der Weltmeister
Die zwei Seelen der Stadt im Vogtland
Auf einer Länge von über 16 Kilometern erstreckt sich Klingenthal in den Tälern von Döbra und Zwota. Das Musik- und Wintersportmuseum liegt nicht genau in der geografischen Mitte Klingenthals – dennoch markiert es das Zentrum der Stadt. Hier sind die Traditionen versammelt, die Klingenthal geprägt haben: der Wintersport und der Instrumentenbau.
Das Museum befindet sich im Dr.-Giers-Haus, einem der wenigen noch erhaltenen Häuser aus dem 18. Jahrhundert. Das Haus ist eng verbunden mit der Geschichte des Instrumentenbaus: Einst lebte hier eine Verleger-Familie, allgemein “Fortschicker” genannt, bevor Sanitätsrat Dr. Giers 1880 das Haus erwarb und im Erdgeschoss seine Praxis einrichtete. Als das Museum 1995 eröffnet wurde, zog zunächst die Sammlung zum Musikinstrumentenbau ein, die auf eine Initiative von Instrumentenherstellern und Verlegern im Jahr 1893 zurückgeht. Wenig später folgten die Exponate zum Wintersport.
Die Verbindung beider Themen unter einem Dach mutet auf den ersten Blick ungewöhnlich an. Unterhält man sich mit Xenia Brunner, die als Mitarbeiterin der Stadt Klingenthal für das Museum und seine Sammlungen verantwortlich ist, versteht man indes schnell, wie sehr Musik und Sport in der Stadtgeschichte und in den Lebensgeschichten der Klingenthaler zusammengehören. „Ich bin ein Kind dieser Stadt“, sagt die Historikerin.
„Mein Lebenslauf passt zu unseren Sammlungszielen. Ich habe das Musikstadtleben seit der Kindheit bewusst miterlebt – und natürlich ebenso die Entwicklung des Wintersports.“
Die Stadt der Zungeninstrumente
Seit über 300 Jahren werden in Klingenthal Instrumente gebaut. Aus Böhmen ausgewanderte Geigenmacher legten den Grundstein für eine Entwicklung, die in Klingenthal von der baldigen Spezialisierung auf Zungeninstrumente geprägt war. Mund- und Hand-harmonikas, nicht zuletzt die Akkordeons der Marke „Weltmeister“ stehen bis heute für den Klingenthaler Instrumentenbau. Xenia Brunner erklärt das Geheimnis des Erfolgs:
„Diese Instrumente haben sich perfekt geeignet für die im 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung. Ursprünglich war das ja alles Handarbeit. Findige Handwerker haben dann Maschinen entwickelt, die einzelne Produktionsschritte übernommen haben. Für die weitere Entwicklung von maßgeblicher Bedeutung war Julius Berthold, der zum Beispiel die Tonzungen-fräsmaschine entwickelte – eine Voraussetzung für die spätere industrielle Produktion.“
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Das Akkordeon mit dem klingenden Namen „Weltmeister“ ist einer der Exportschlager der Stadt. Einst von den VEB Klingenthaler Harmonikawerken (KHW) in heute unvorstellbaren Mengen produziert, verlassen auch heute noch Akkordeons die Fabrik. Dabei hatte nicht nur die Firma nach der Wende zu kämpfen – auch das Akkordeon litt unter seinem Schiffer-klavier-Image. Mit Veranstaltungen wie dem Internationalen Akkordeonwettbewerb gelang es in Klingenthal, die Raffinesse und Vielseitigkeit des Instruments hervorzuheben.
„Natürlich hat die Wende in der Stadt zu einem großen Bruch geführt,“ so Brunner. „Der Bruch kam, als die VEB KHW mit ihren 4.000 Angestellten verkauft und extrem verkleinert wurden. Die Geschichte war seitdem viele Jahre ein Auf und Ab, viele Arbeitsplätze sind verloren gegangen.“ Dennoch: Heute steht Klingenthal für Manufakturen mit Qualität und Weltruf, die Akkordeons und Mundharmonikas in alle Ecken der Welt exportieren.
Die Stadt der Weltmeister
Dieses Auf und Ab sieht Xenia Brunner auch im Wintersport, der anderen prägenden Tradition in Klingenthal. „Eine Zäsur im Wintersport war sicherlich die Sprengung der Aschberg-Schanze.
Danach haben die Klingenthaler sehr engagiert für den Wiederaufbau gekämpft, der dann an anderer Stelle mit der Vogtlandarena tatsächlich kam. Da haben sich unheimlich viele Ehrenamtliche engagiert.“ Das Modell der 2006 fertiggestellten Schanze in der Sparkasse Vogtland Arena steht am Beginn des Rundgangs durch die Wintersport-Sammlung. Dieser vorläufige Höhepunkt der Klingenthaler Wintersport-Geschichte schlägt den Bogen zurück in die Vergangenheit, wie Brunner erzählt:
„Auch in Klingenthal gab es schon einmal den Plan für eine Olympia-Bewerbung. 1932 war das und sollte für 1936 gelten. Der Plan scheiterte, weil der Forst am anvisierten Standort den Wald nicht abholzen wollte. Hier, am Schwarzberg, sollte die größte Schanze der Welt entstehen.“
1932 war die Geschichte des Wintersports in Klingenthal noch jung. 1886 schlug Oberlehrer Erwin Beck eine Fortbewegung auf Skiern vor. Eine Postkarte aus Norwegen hatte ihn inspiriert. Zunächst ein praktisches Fortbewegungsmittel, wurden die Ski bald ein Mittelpunkt der Freizeitgestaltung in der Stadt. 1908 wurde der erste Skiverein gegründet, und schon 1929 konnte man in Klingenthal erstmals die deutschen Meisterschaften ausrichten. Zahlreiche Olympiasieger und Weltmeister hat der Ort hervor gebracht.
Ein Ort für die Seele
„All das war immer Teil des beruflichen, aber auch des kulturellen und sozialen Lebens der Klingenthaler. All das ist immer noch die Seele der Stadt: der Akkordeonbau mit der Weltmeister-Manufaktur. Der Grandprix und die Schanze.“
5.000 Besucher im Jahr zählt das Musik- und Wintersportmuseum, das neben der regulären Ausstellungsarbeit Gastgeber für Konzerte und Vorträge ist und Wert darauflegt, nicht nur ein Anziehungspunkt für Touristen zu sein, sondern auch ein Ort für die Einheimischen. Fast obligatorisch für die Klingenthaler ist die alljährliche Weihnachtsausstellung, die dieses Jahr unter dem Motto „Es weihnachtet sehr“ steht.
„Wir möchten eine Botschaft der Besinnung, der Achtung vor der Tradition vermitteln,“ so Xenia Brunner. „Manchmal hat man ja das Gefühl, die Gegenwart würde ständig neue Dinge hervorbringen, beispielsweise Unmengen loser Dekorationen für die Weihnachtszeit. Doch das Meiste davon gab es früher schon und hat tiefe Wurzeln im Glauben oder der Symbolik. Im Museum wird auch dieser Inhalt bewahrt und weitergegeben.“
Die Weihnachtsschau ist sicherlich ein guter Anlass, das Museum nach dem vom Freistaat Sachsen und dem Kulturraum Vogtland-Zwickau geförderten Umbau neu zu entdecken. Die Besucher können sich nun nicht nur auf eine eigene Abteilung zum Akkordeonbau in der DDR freuen. Auch mehrere Maschinen aus der Mundharmonikafertigung werden ausgestellt.
„Warum sind wir heute, wie wir sind? Weil es diesen Instrumentenbau gab, der einst von den Geigenmachern begründet wurde, haben wir heute den Internationalen Akkordeonwettbewerb oder das Mundharmonika-Festival,“ erzählt Xenia Brunner. „Das wollen wir bewusst machen.
Musik- und Wintersportmuseum
Schloßstraße 3 · 08248 Klingenthal
Telefon 037467 648-27 oder -29
ÖFFNUNGSZEITEN
Dienstag bis Freitag: 10.00–16.00 Uhr
Wochenende und Feiertage: 13.00–17.00 Uhr
Nur ein verstaubtes Museum: das wollen wir nicht sein. Wir wollen den Bogen zum Heute spannen, wollen zeigen, wie die Tradition immer noch gelebt wird.“ Xenia Brunner ist sich sicher: „Das ist wichtig für die Stadt, für ihre Identität. Die Seele der Stadt zu bewahren, das Heimatgefühl, in dieser schnelllebigen Zeit.“ (text: mario keipert, fotos: vvv)
Auf nach Klingenthal: Sicher und entspannt mit der Vogtlandbahn…
2019-02-24