- Sonntag, 29 Juli 2012, 02:06 Uhr | Lesezeit ca. 10 Min.
Erich Ohser – Sein Leben – Eine Chronik
Spitzengeschichte 12
Erich Ohser ist der bekannteste Comiczeichner aus Plauen. Vor allem in den dreißiger Jahren war er mit seinen Humorzeichnungen weltweit gefragt. Noch heute werden seine „Vater und Sohn“ Geschichten gern gelesen. Sie gehören zu den bekanntesten Werken von Erich Ohser. Lesen Sie hier eine ausführliche Chronik über Erich Ohser.
Sein Leben beginnt am 18. März 1903 in Untergettengrün, einem Dörfchen mit weit verstreuten Häusern nahe der heutigen deutsch-tschechischen Grenze. Es braucht schon etwas Geduld, um in einen der entlegensten Winkel des Vogtlandes vorzudringen und die Spur Erich Ohsers aufzunehmen. Ein schlichtes Schild am Ortseingang ist das erste Zeichen. Vor der ehemaligen Schule ein Gedenkstein, gut gemeint, schlecht gemacht – der auf einen Findling geschraubten Tafel ist die Mühe anzusehen, ja keine Lebensstation Ohsers zu vergessen.
Schließlich das Geburtshaus, ein 1902 für den Zoll errichteter Bau in der Poststraße, unmittelbar an der tschechischen Grenze. Ohsers Familie kam aus Volkmarsdorf, heute Stadtteil von Leipzig, ins Vogtland. Dabei trug sie noch gar nicht den Namen Ohser: Paul Ochse hieß der Vater ursprünglich, und auf den Namen „Ochse“ ist noch sein ältester Sohn Herbert getauft worden. Dem Vernehmen nach wollte der Adorfer Standesbeamte Neubert auch Erich mit dem wenig schmeichelhaften Namen eintragen und die kurz zuvor vollzogene Namensänderung in „Ohser“ nicht akzeptieren. So dauert es zwölf Tage, bis zum 30. März 1903, ehe der kleinliche Behördenmensch den Stempel auf die Geburtsurkunde von „Kurt Erich Ohser“ drückte.
Bis 1909 lebt die Familie in Untergettengrün, ehe der Zoll-Grenzaufseher Paul Ohser in Plauen eine Stelle als Steueraufseher annimmt und mit Frau und Kindern in die Spitzenstadt umzieht. Was dann folgt, beschreibt die Berliner Journalistin Abini Zöllner 2002 anlässlich einer Ausstellung von Werken Erich Ohsers in der Hauptstadt:
„Erich Ohsers Leben war ein Leben voller ‘aber’. Er kam aus einfachen, aber liebevollen Verhältnissen. Er hatte eine starke Beziehung zu seinen Eltern, aber besonders zum Vater. Er machte eine Lehre als Schlosser, aber ging an die Kunstakademie Leipzig, bis zur Meisterklasse, wo ihm ein beherzter, drängerischer Strich bescheinigt wurde. Er konnte zwar keine höhere Schulbildung genießen, aber wurde später zum Liebling der Intellektuellen. Alles lief auf eine Karikaturisten-Zukunft hinaus, aber sie währte viel zu kurz“.
Nach der 1920 mit Auszeichnung abgeschlossenen Schlosserlehre wechselt Ohser noch im selben Jahr zum Studium an die Leipziger Akademie für Grafische Künste und Buchgewerbe; mit dem Akademieprofessor Walter Buhe und weiteren Studenten der Akademie führen ihn später, zwischen 1923 bis 1926, Reisen unter anderem nach Osteuropa. 1922, als Ohser erstmals ausstellt – in der Plauener Buch- und Kunsthandlung Aurich – beginnt die lebenslange Freundschaft mit Erich Knauf, dem Redakteur der sozialdemokratischen „Volkszeitung für das Vogtland“ in Plauen. 1923 erweitert sich Ohsers Bekanntenkreis um noch einen Erich – er lernt Erich Kästner kennen. Jetzt ist es komplett, das ebenso muntere wie eifrig gegen den Strich bürstende Trio.
Kästner, seit 1924 Redakteur der „Neuen Leipziger Zeitung“, beschäftigt den Freund als Karikaturisten, daneben erhält Ohser erste Illustrationsaufträge vom Leipziger Schauspielhaus. Buchillustrationen wie 1925 die Bebilderung von Rudyard Kiplings Tiergeschichten „Das kommt davon“ folgen.
Der rebellische Ton in Wort und Bild mündet 1927 in einer als Eklat gewerteten Veröffentlichung: Das von Ohser illustrierte Kästner-Gedicht „Abendlied eines Kammervirtuosen“ wird als Verhöhnung des 100 Jahre zuvor gestorbenen Komponisten Ludwig van Beethoven aufgefasst, die „Neue Leipziger“ feuert beide fristlos.
Daraufhin gehen Ohser und Kästner nach Berlin. Bald darauf folgen Ohsers Studienfreundin Marigard Bantzer (1905 – 1999) – die 1930 seine Frau wurde – und schließlich 1929 auch Erich Knauf. Einen passablen Job findet Ohser in dem Jahr auch wieder, als Karikaturist für den sozialdemokratischen „Vorwärts“.
Hitler und Goebbels bedenkt er mit beißendem Spott. Aber auch für die Kommunisten empfindet der Vogtländer keine Sympathie, eine Einstellung, die Ohser nicht zuletzt durch eine zehnwöchige Russlandreise mit Kästner 1930 gewonnen hat.
Von den Illustrationsaufträgen kann die mittlerweile dreiköpfige Familie, 1931 wird Sohn Christian geboren, gut leben. Neben dem „Vorwärts“ erscheinen Ohsers Arbeiten in „Der Querschnitt“, „Die lustigen Blätter“ oder der „Neuen Revue“.
Doch diese glückliche Zeit währt nicht lange. Die zuvor in den Karikaturen bespöttelten Nazis sind 1933 am Ziel: Adolf Hitler ist Reichskanzler. Bei der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz werden auch die Werke Erich Kästners den Flammen übergeben.
Erich Ohser reagiert mit einem eigenen Feuer: In seinem Schrebergarten verbrennt er sämtliche Originalzeichnungen für den „Vorwärts“, Illustrationen und Witzbilder. Dies nützt dem gerade 30 Jahre alten Künstler jedoch wenig. Im Januar 1934 erhält er es schwarz auf weiß, dass sein früheres Wirken bei den neuen Machthabern nicht vergessen ist.
Um weiter für Zeitungen arbeiten zu können, benötigt Ohser die Mitgliedschaft in der Reichspressekammer. Der Aufnahmeantrag wird abgelehnt, wegen seiner „früheren exponierten publizistischen Tätigkeit im marxistischen Sinne“. Das Veröffentlichungsverbot bedeutet de facto ein Berufsverbot, das umso schwerer wiegt, da nun Marigard Ohser die dreiköpfige Familie allein ernähren muss.
Aus der misslichen Lage hilft dem Karikaturisten der ein Jahr jüngere Kurt Kusenberg, Lektor im Ullstein Verlag, der ihn für die „Berliner Illustrierte“ gewinnt, die damals eine „stehende Figur“ sucht. Es gelingt dem Ullstein Verlag, für Ohser die Erlaubnis zur Publikation unpolitischer Karikaturen zu erwirken, sofern diese unter Pseudonym erscheinen. „e.o.plauen“ ist geboren, und mit ihm die Bildergeschichte „Vater und Sohn“.
Und die Serie trifft den Nerv der Leser. Weder der schnauzbärtige Vater, schon gar nicht sein pfiffiger Sohn haben etwas Erhabenes, Heldisches, Großsprecherisches an sich. Fast drei Jahre lang entzückt das Vater-und-Sohn-Gespann Woche für Woche eine große Leserschar, es „menschelt“ in Ohsers Geschichten, die von kleinen Pannen, witzigen Begebenheiten, Sich-selbst-auf-die-Schippe nehmen und dem Meistern der Fährnisse des Lebens im Alltag erzählen. Ohser erschafft eine Welt, in der sich viele wiederfinden; die so ganz anders ist als das mit beträchtlichem Getöse auftretende Deutschland der Nationalsozialisten.
Aber es war eine Welt, die nicht von Dauer ist: 1937 läuft die „Vater-und-Sohn-Serie“ aus. In der öffentlichen Wahrnehmung hat der phänomenale Erfolg von e.o.plauen den frühen Erich Ohser als Zeichner politisch scharfer Karikaturen längst überlagert. Vor die Frage gestellt, was in Zeiten erneut ausbleibender Aufträge mit Ohser und seiner Familie werden solle, entscheidet er sich für die Hoffnung, doch wieder arbeiten zu können und die Zeit des Nationalsozialismus, der keinen wie auch immer gearteten Humor besaß, zu überleben.
Eine Emigration wäre Mitte der 1930er Jahre durchaus ein Thema gewesen – Marigard Ohser hat Verwandte und Freunde in England, die bereit sind, die Familie aufzunehmen. Doch Ohser will nicht auswandern, er kann kein Englisch und fürchtet nicht zuletzt ob seiner Schwerhörigkeit, es nur schwer erlernen zu können. Diese von der Mutter ererbte Krankheit darf keinesfalls vergessen werden, wenn das Bild des Erich Ohser ein vollständiges werden soll. Kurt Kusenberg, der Freund und Kollege, schreibt später: „Seine Schwerhörigkeit schob sich abdämpfend zwischen ihn und die Umwelt … Es war viel Zauderndes in ihm; Schwierigkeiten entmutigten ihn …, er war ängstlich, war weich, aber nicht feige, … er fürchtete sich vor dem Bösen in der Welt und fühlte sich ihm, weil er selber ohne Arg war, nicht gewachsen.“
Letzteres wird zum Problem, als das sprichwörtliche „Böse“ 1940 an die Tür klopft: Die neu gegründete Wochenzeitung „Das Reich“ bietet ihm die Chance zur Mitarbeit. In dem Blatt schreibt Goebbels – der Ohser seit den nazikritischen Karikaturen im „Vorwärts“ ständig beobachtet – regelmäßig Leitartikel. Das „Reich“ soll nach dem Willen seines Schöpfers Goebbels der bewusste Kontrapunkt zu antisemitischen Radaublättern wie Julius Streichers „Stürmer“ sein – ein Blatt für gehobene Ansprüche.
Die „Reich“-Redakteure besitzen etwas Freiraum gegenüber den allgegenwärtigen Anweisungen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, dürfen ausländische Zeitungen lesen, sogar „Feindsender“ hören. Ohser, dessen Arbeiten bereits vor 1940 in NS-Werbeblättern und im „Völkischen Beobachter“ erschienen, nimmt die Offerte an, obwohl ihm seine Frau abrät. Der Wille zum Arbeiten, die Sorge um die Ernährung seiner Familie dürften ihn dazu motiviert haben. Arbeit hat Ohser nunmehr, aber dafür ein neues Problem: Goebbels verlangt von den Karikaturen im „Reich“ eine klare Stoßrichtung – die Verächtlichmachung der Kriegsgegner, namentlich durch die Identitätsfiguren Bär (für Russland), John Bull (Großbritannien) und Uncle Sam (USA).
Zudem bekommt Ohser in den Redaktionssitzungen Wahrheiten mit, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden. An diesen Widersprüchen leidet Ohser, der die gewünschten Zeichnungen (über 800) zwar liefert, sich dafür aber im privaten Umfeld – und ob seiner Schwerhörigkeit nicht unbedingt leise – mit Witzen Luft verschafft. An die eigene Erkenntnis, „seine wahre Meinung zu äußern hat keinen Zweck, weil man umgebracht wird“, hält er sich selbst nicht. Dies geht so lange gut, bis im November 1943 Ohsers Atelier im Stadtteil Wilmersdorf und mit ihm ein Großteil seiner Zeichnungen bei einem Bombenangriff vernichtet wird. Ohser und Erich Knauf, inzwischen Pressechef der Terra Film, siedeln in das Haus des zum Kriegsdienst eingezogenen Arztes Dr. Hans Daubenspeck in Berlin-Kaulsdorf über. Die ebenfalls evakuierten Nachbarn in diesem Haus sind Bruno Schultz, Herausgeber der Zeitschrift „Das deutsche Lichtbild“ und seines Zeichens Hauptmann beim Oberkommando der Wehrmacht, und dessen Frau Margarete.
Am 22. Februar 1944 denunziert Schultz Ohser mit der Aussage über Goebbels, dieser habe „als sogenannter Minister alle deutschen Künstler durch idiotische Verfügungen so gedrosselt und vergrämt, dass die deutsche Kunst, wie ja vom Blinden zu sehen sei, vor die Hunde gegangen ist …“ Fünf Tage später werden Ohser und Knauf ohne vorheriges Verhör verhaftet. Goebbels erklärt den Fall zur Chefsache und fordert Roland Freisler, den Präsidenten des Volksgerichtshofes, auf, die Sache rasch zum Abschluss zu bringen. Doch zu einem Richterspruch des NS-Schlächters kommt es nicht mehr.
Am Morgen des Verhandlungstages, dem 6. April 1944, wird Erich Ohser tot in seiner Zelle im Gefängnis Moabit aufgefunden. Indem er sich mit einem Handtuch am Fenstergitter erhängt hat, kommt er dem sicheren Todesurteil zuvor. In einem schriftlichen „Geständnis“ entlastet Ohser seinen Freund Erich Knauf. Den Verräter Bruno Schultz bedenkt er mit den Worten, dieser sei „das seelisch Verkommenste, was ich je im Leben erlebt habe“. An Marigard und Christian Ohser hinterlässt er einen Brief, in dem es heißt: „Ich tat es doch für Deutschland“ und – mit Bezug auf seinen Sohn, „mache aus ihm einen Menschen; ich gehe mit einem glücklichen Lächeln …“ Auch Ohsers Weggefährte Erich Knauf überlebt das Frühjahr 1944 nicht. Er wird am 2. Mai im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. „Vater und Sohn“ aber erleben nach dem Zweiten Weltkrieg eine Renaissance, nachdem Marigard Ohser 1948 die Verlagsrechte an Johannes Weyl vom Südverlag Konstanz übertragen hatte; dieser hatte sich 1934 für die Publikationsrechte Ohsers eingesetzt. Erich Ohser lebte kein Leben im Widerstand, aber eines in Widersprüchen.
Er, der schon mit Mitte 20 ein bedeutender politischer Karikaturist war, litt am Gegensatz zwischen dem verehrten Deutschland und den verachteten Nationalsozialisten, entkam diesem Zwiespalt aber bis zu seinem tragischen Ende nicht. 2004 hat die Stadt Plauen einen gewichtigen Teil des Ohser-Nachlasses erworben, voriges Jahr wurde von der „Erich Ohser-e.o.plauen Stiftung“ ein Wissenschaftlicher Beirat berufen. So eröffnen sich neue Chancen, Leben und Wirken des Karikaturisten differenzierend zu werten, ihn stärker als bisher als politischen Zeichner wahrzunehmen, ja den ganzen Menschen und Künstler Erich Ohser zu erforschen. (Ronny Hager)
Die Spitzengeschichten werden Ihnen präsentiert vom Historikus Vogtland. >> zum Historikus Vogtland